Biete Literatur, suche Geldgeber: Wie der Mainzer...

Ventil-Miteigentümer Jonas Engelmann mit der Projektseite der Crowdfunding-Aktion, mit der der Verlag Geld für sein Herbstprogramm sammelt. Fotos: hbz/Stefan F. Sämmer, daboost – stock.adobe  Foto:
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Die Geschichte des Glam Rocks, Punk im Ostblock oder ein Buch von Jan Off, das nur auf Schallplatte erscheint – dass sich der Ventil-Verlag nicht gerade auf massentaugliche...

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MAINZ. Die Geschichte des Glam Rocks, Punk im Ostblock oder ein Buch von Jan Off, das nur auf Schallplatte erscheint – dass sich der Ventil-Verlag nicht gerade auf massentaugliche Themen spezialisiert hat, wird beim Blick auf die aktuelle Herbstvorschau sofort deutlich. Für den Popkultur-Profi, der seit etwa 20 Jahren in Mainz ansässig ist, ist das derzeit Fluch und Segen zugleich.

Ventil-Miteigentümer Jonas Engelmann mit der Projektseite der Crowdfunding-Aktion, mit der der Verlag Geld für sein Herbstprogramm sammelt. Fotos: hbz/Stefan F. Sämmer, daboost – stock.adobe  Foto:

VG-Wort-Rückzahlung brachte Verlag in Nöte

Fluch, da er als kleiner Independent-Verlag von einer Entscheidung des Bundesgerichthofs aus dem April 2016 in seiner Substanz getroffen wurde. Dem Urteil zufolge dürfen Verlage nicht mehr an den durch Tantieme erzielten Einnahmen der Verwertungsgesellschaft Wort beteiligt werden, sondern ausschließlich Autoren. Die VG Wort und auch die VG Bild-Kunst, für die das Urteil analog gilt, fordern daher bereits geleistete Zahlungen zurück – rückwirkend bis 2012. Für Ventil bedeutet das, 20 000 Euro zurückzahlen zu müssen – eine Summe, die der vier Mitarbeiter starke Verlag nicht einfach auffangen kann. „Wir standen vor der Aussicht, an dem sparen zu müssen, das uns im Kern ausmacht“, sagt Jonas Engelmann, Miteigentümer und Lektor. „Entweder an den Büchern, oder an uns“ – also Mitarbeiter zu entlassen. Beides war keine Option.

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Daher kamen sie auf die Idee, die für die Produktion des Herbstprogramms fehlende Summe – 15 000 Euro – über eine Crowd-funding-Aktion einzunehmen. Und hier kommt der Segen des Nischendaseins ins Spiel. „Da wir ein Kleinverlag sind und eng mit unseren Autoren zusammenarbeiten, gibt es eine gewisse Solidarität“, sagt Engelmann – und so haben viele Autoren und Künstler etwas zur Verfügung gestellt, das Ventil als „Dankeschön“ an Crowdfunding-Geldgeber geben kann. Collagen von Ror Wolf (ausverkauft) etwa, Wohnzimmer-Lesungen (500 Euro) oder Zeichnungen von Nicolas Mahler (600 Euro) und Walter Moers (1200 Euro). Das scheint anzukommen: Die Aktion läuft bis 15. August – doch bereits jetzt (21. Juli) sind 14 429 der 15 000 Euro erreicht.

Ventil ist der erste deutsche Verlag, der durch Crowdfunding sein Herbstprogramm sichern will. Aber nicht der erste deutschsprachige: Der in Zürich ansässige Dörlemann-Verlag, in dem etwa Werke der Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe erscheinen, hat im Juni seine Aktion zu Ende gebracht – so erfolgreich, dass dadurch jetzt sogar eine Volontariatsstelle neu geschaffen werden kann. Ursprünglich ging es insbesondere darum, eine durch den starken Franken entstandene Finanznot aufzufangen.

Startnext: 283 erfolgreiche Projekte in Sparte Literatur

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„Das hat eine unglaubliche Eigendynamik entwickelt“, sagt Verlegerin Sabine Dörlemann rückblickend. Die Vorteile des Crowdfundings sieht sie dabei ausdrücklich auch in der Kundenbindung. Darin, dass Unterstützer der Aktion immer wieder deren Verlauf verfolgten, mit dem Verlag im Kontakt blieben. „Man kommt in ein richtiges Crowdfunding-Fieber“, sagt Dörlemann. Das braucht es auch. Denn der Arbeitsaufwand ist riesig – und muss neben der regulären Verlagsarbeit gestemmt werden.

Wahrscheinlich ist das ein Grund dafür, dass umfassende Aktionen wie jene von Ventil und Dörlemann bisher die Ausnahme sind. Meist werden per Crowdfunding einzelne Buchprojekte verwirklicht, auch von Privatpersonen – das aber nicht selten. Allein auf Startnext, Deutschlands größter Crowdfunding-Plattform, sind bisher 283 Projekte in der Sparte „Literatur“ erfolgreich finanziert worden.

Mit dem Kladde-Buchverlag aus Freiburg gibt es sogar ein Haus, das sich ausschließlich auf das Crowdpublishing konzentriert. Dort kommen nur Bücher in den Druck, die zuvor im Internet genug Interessenten gefunden haben – nach eigenen Angaben sind das 65 bis 70 Prozent der vorgestellten Projekte. Geschäftsführer und Mitgründer Jonas Navid Al-Nemri sieht darin eine Chance zum direkten Austausch mit den Lesern: „Wir wollen, dass aus Lesern Produzenten werden“ sagt er. Gleichzeitig biete sich Verlagen hier eine Chance zur Risikominimierung – schließlich funktioniert die Schwarmfinanzierung wie eine Art Testballon fürs Leserinteresse. Aber liegt darin nicht auch eine Gefahr, Stichwort Massengeschmack? Bisher kann Al-Nemri diese nicht erkennen, und verweist auf ein essayistisches Berlin-Buch des Journalisten Ulrich Pätzold, eines der ersten erfolgreichen Verlagsprojekte.

Vielleicht ist es auch tatsächlich so, dass bei Crowd-funding im Literaturbereich – zumindest im Moment – besonders Nischenprojekte Erfolgschancen haben. Startnext jedenfalls bestätigt diese Beobachtung. Und wahrscheinlich ist es vor diesem Hintergrund zu sehen, dass der Hamburger Comic- und Jugendverlag Carlsen mit seinen Aktionen zunächst nicht erfolgreich war: „Graphicatessen“ (2015) und „Comics für die Wand“ (2016) konnten beide ihr Finanzierungsziel nicht erreichen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Carlsen noch einen Anlauf unternimmt. „Aber es muss ein Projekt sein, das passt“, sagt Pressesprecherin Katrin Hogrebe und benennt damit einen Knackpunkt: Crowdfunding erfordert quasi eine andere Sprache als nicht-internetbasierte verlegerische Arbeit. Das betonen sowohl Dörlemann als auch Al-Nemri. Al-Nemri bringt es so auf den Punkt: „Was auch immer man macht, das Ganze muss authentisch wirken“.

Von Johanna Dupré