Von Michaela LusterWIESBADEN - Wenn Mykola Hontscharuk, genannt Niko, von seinen „Sprachproblemen“ redet, weiß man erst mal gar nicht, was er meint. Sein Deutsch ist sehr gut, grammatikalisch und vom Wortschatz. „Aber die Hessen sprechen sehr schnell“, erklärt Niko. „Und sie sprechen eine ,dialektische’ Sprache.“ In der Ukraine habe er dagegen nur Hochdeutsch gelernt. Seit knapp zwei Monaten ist der 22-Jährige jetzt in Wiesbaden. Auf Einladung des Vereins Wiesbaden-Schierstein/Kamenez-Podolski besucht er für zwei Jahre die Schulze-Delitzsch-Schule, eine Berufsfachschule für Wirtschaft. „Mittlerweile verstehe ich aber fast alle meine Schulkameraden“, freut sich Niko.
Lehrer für Deutsch, Englisch und Weltliteratur
- GASTFAMILIE
Seit 1996 ermöglicht es der Partnerschaftsverein Wiesbaden-Schierstein/Kamenez-Podolski, dass ukrainische Student/innen eine kaufmännische Ausbildung machen können. Dafür besuchen die jungen Frauen und Männer, die bereits ein abgeschlossenes Deutschstudium auf Lehramt absolviert haben, zwei Jahre lang die Schulze-Delitzsch-Schule (Berufsfachschule für Wirtschaft) in Wiesbaden. Wer sich vorstellen kann, eine Ukrainerin oder einen Ukrainer während ihrer/seiner Schulzeit als Gastfamilie aufzunehmen, bekommt weitere Informationen von Martina Lotz, Telefon 06122 - 7 65 05, Doris Engel-Simon, Telefon 06129 - 25 48, oder Maria von Pawelsz-Wolf (Vorsitzende), Telefon 0331 - 280 05 29. www.wiesbaden-kamenez- podolski.de.
Der Partnerschaftsverein ermöglicht seit zehn Jahren jungen Ukrainern diese kaufmännische Ausbildung. Zum Prinzip gehört, dass die jungen Frauen und mittlerweile auch einige junge Männer in dieser Zeit bei Wiesbadener Gastfamilien leben. Niko wohnt bei Familie Browman in der Sonnenberger Straße. „Meine Gastmutter Johanna zeigt mir die Stadt“, erzählt Niko. Wiesbaden gefällt ihm gut. Bei einer Stadtrundfahrt habe er die verschiedenen Stilepochen der Gebäude erkennen können. „Das gibt es nicht überall.“ Natürlich hat er auch schon die Russische Kapelle auf dem Neroberg besichtigt, schließlich ist er selbst orthodoxer Christ.
Niko kümmert sich einige Stunden um die Kinder
In der Ukraine hat Niko bereits studiert. Er ist Lehrer für Deutsch, Englisch und Weltliteratur für weiterführende Schulen. Aber das war ihm nicht genug: „Ich wollte mein Sprachniveau verbessern und eine andere Kultur mit anderen Bräuchen kennenlernen.“ Mit Wirtschaft hatte er vorher gar nichts zu tun. Jetzt macht ihm die Berufsschule viel Spaß und im ersten Jahr möchte er „lernen, lernen, lernen“.
„Er ist sehr fleißig, pflichtbewusst und selbstständig“, lobt seine Gastmutter Johanna Browman. Sie empfindet ihn als echte Bereicherung und wünscht sich, dass er bald Leute in seinem Alter kennenlernt, denn seine Schulkameraden sind bedeutend jünger. Dafür, dass die Gastfamilie Verpflegung und Unterbringung sowie ein Taschengeld stellt, kümmert sich Niko einige Stunden in der Woche um die beiden Kinder Felix und Klara. „Nachmittags muss ich jetzt nicht mehr mit Felix Fußball spielen, sondern Niko geht mit ihm im Kurpark kicken“, freut sich Johanna Browman. Das findet auch Felix klasse, weil „Papa fast nie Zeit dafür hat“.
Dass Niko allerdings wie geplant die ganze Familie bekocht, hat erst einmal nicht so richtig geklappt. „Er kam mit einem Koffer mit Kleidung und einem zweiten voller Fleisch als Gastgeschenk an. Leider sind mein Mann und ich Vegetarier“, erzählt Johanna Browman lachend. Für die Kinder bereitet Niko dafür manchmal schon zum Frühstück Fleischsuppe zu: „Eine ganz neue Erfahrung“ für die Gastmutter.
Niko hat schon viele Unterschiede zwischen seiner Heimat und Deutschland ausgemacht. „Das Lebensniveau ist hier viel höher“, sagt er. Auch hätten die deutschen Schüler und Studenten insgesamt viel bessere Möglichkeiten. Und dann ist da natürlich der Konflikt mit Russland um die Ostukraine, „für den wir einfach keine Lösung finden“. Das ist zwar weit entfernt von Kamenez-Podolski, aber einer seiner Freunde wurde eingezogen in die Armee. Er selbst musste wegen seines Studiums noch nicht zum Militär.
In den Herbstferien hat die Gastfamilie den jungen Ukrainer mit nach Belgien und Frankreich genommen. In jeder Stadt macht Niko ein Selfie und besorgt sich einen Anstecker. Stolz zeigt er seinen Rucksack mit den Pins. Klar, dass auch schon die drei Lilien von Wiesbaden dabei sind. Im kommenden Sommer wollen die Browmans dann mit Niko seine Eltern in Kamenez-Podolski besuchen.
Spiel FC Barcelona gegen Real Madrid
„Mein Traum ist, dass ich die Verbindung zwischen Wiesbaden und meiner Heimatstadt vertiefen kann“, sagt Niko. Er malt sich aus, dass es für künftige Gastschüler einfacher wird, ein ukrainisches Visum zu bekommen, dass sie etwa nicht mehr so viele Dokumente beibringen müssen. Aber er hat auch noch einen ganz konkreten Wunsch: „Nächstes Jahr will ich mit Felix nach Spanien fahren und ein Spiel FC Barcelona gegen Real Madrid sehen.“
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