Von Dietrich SternWIESBADEN - „Tosca“ von Giacomo Puccini ist harter Stoff und leider brandaktuell. Zwei Künstler, die Sängerin und Bühnendiva Floria Tosca und der arrivierte junge Maler Mario Cavaradossi, geraten in die Mühlen einer brutalen Polizeidiktatur und gehen darin unter. Die 1900 uraufgeführte Oper arbeitet konsequent heraus, dass hier kein „unerbittliches Schicksal“ waltet, sondern dass machtbesessene Schergen ihre Befriedigung im Vollzug perverser Grausamkeit finden. Deshalb gibt es kein Entrinnen für zwei Menschen, die nichts weiter als Menschenwürde und Freiheit zu leben versuchen – eine heute alltäglich stattfindende Geschichte.
Im vergangenen Jahr in den USA debütiert
Zehn Jahre ist die Inszenierung von Sandra Leupold alt, die Agnes Terebesi neu einstudierte. Geblieben ist der Raum von Tom Musch, der sich vom 1. bis zum 3. Akt ohne Umbau von der Kirche zum Foltergefängnis wandelt, ein starker Kommentar zur unbarmherzigen, die Diktatur stützenden Rolle der Religion. Allerdings sind die beiden jungen Leute, die hier ihre Liebesaffäre voranbringen wollen, arglos bis naiv. Richard Furman als Cavaradossi zeigt einen schwärmerischen, sensiblen jungen Mann, der sich spontan in eine politische Aktion verwickeln lässt. Er ist kein Held, eher zart in seinem Auftreten, entwickelt aber unter der Folter moralische Größe. Die Höhen dieser Partie meistert Furman souverän. Manches wirkt bei ihm ein wenig wie „nach innen“ gesungen, was zur Rolle des unheldischen Oppositionellen passt. Cavaradossi ist für Furman ein großer Schritt, der ihn weiter voranbringen wird.
Ebenso jung, zart und zerbrechlich erscheint die Tosca der amerikanischen Sängerin Elena O’Connor. Sie debütierte damit im vergangenen Jahr in den USA. Dem Wiesbadener Theater kann man gratulieren, sie für Europa entdeckt zu haben. Die große Stimme dieser jungen Frau wird sowohl den weich leidenden wie den hochdramatischen Seiten der Titelrolle gerecht. Im Spiel betätigt sie etwas zu oft eine „Rühr-mich-nicht-an“-Gestik. Erst im Akt der Notwehr, der Tötung des Polizeichefs Scarpia, kommt bei ihr in harten Brusttönen die unerbittliche Rächerin zum Vorschein.
Derrick Ballard springt für Thomas de Vries ein
Und Scarpia? Thomas de Vries verletzte sich in der Generalprobe. In der höchsten Not sprang Derrick Ballard vom Mainzer Opernensemble ein, sang die Partie makellos, nicht nur als bösartiges Monster, sondern mit tief menschlichen Untertönen. Dazu spielt Ballard klug, mit intelligenter Mimik die Rolle. Ein selten gelungener Scarpia und große Begeisterung über die drei Hauptrollen, was die Leistung der Nebenrollen nicht schmälert. Das Staatsorchester spielt unter Michael Helmrath homogen und genau und bringt die instrumentalen Wunder Puccinis glanzvoll zur Geltung. Wieder ein großer und wichtiger Abend der Wiesbadener Oper!
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