Von Volker MilchWIESBADEN - Es ist, selbst wenn es im Haus der Familie Galbraith nicht durchregnet, die klassische Dachstube des Poeten, übervoll mit Büchern. Und lyrisch vorbelastet ist schon das erste Thema des Gesprächs beim Besuch in der Vereinstraße: Iain Galbraith, Wiesbadener Lyriker und Übersetzer mit schottischen Wurzeln, führt zum Fenster und erzählt von den Kranichen, deren Herbstzug er von hier oben wunderbar beobachten kann.
Das Rauschen in der Luft über dem Haus
Einmal wollte das Rauschen in der Luft nicht weichen, und der Hausherr sah, wie die Vögel über der Diesterwegschule kreisten. Ein Ort, dem ohnehin erhöhte Aufmerksamkeit gilt: Beide Töchter, mittlerweile zum Studium nach England ausgeflogen, haben diese Schule besucht. Was er am Himmel sah, fasziniert ihn noch heute: Der Schwarm wartete auf sechs Nachzügler. Flugs springt Galbraith von der Fauna zur Politik und spricht über die Abgehängten der Gesellschaft: „Aber die Kraniche, von denen können wir lernen. Sie warten auf alle!“
Die Zugvögel dienen aber nicht nur der poetisch-politischen Reflexion in einer kälter werdenden Weltlage. Sie könnten vielleicht auch für die Übersetzung eines deutschen Textes ins Englische ein Problem sein. Denn in England sind die Tiere nicht so präsent wie in Deutschland, wo ihre Nennung ein breites Spektrum an Assoziationen und Gefühlen weckt: Fernweh, Sehnsucht, Melancholie. Was tun, wenn das Wort „Kranich“ beim Engländer keine Saite anschlägt? Darf man den Kranich dann vielleicht sogar in eine Wildgans verwandeln? Die kennt man in England sehr gut. Es sei „ein grundsätzliches Problem der Übersetzung, ob man den Text dem fremden Sprachkontext anpasst, oder ob man das Fremde mitnimmt in die neue Sprache“. Im Fall der Kraniche würde Galbraith dem Vogel seine Identität belassen und auf den erklärenden Kontext vertrauen.
Mit solchen Entscheidungen hat der Autor, der im Frühjahr seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, viel Erfahrung, die international anerkannt ist und mit Preisen gewürdigt wurde: Gerade hat er die Auszeichnung „Pen Translates“ für die Übersetzung eines Prosatextes von Esther Kinsky bekommen. 2014 wurde er mit dem Stephen-Spender-Prize für die Übertragung von Jan Wagners Gedicht „Quittenpastete“ ausgezeichnet. 2015 folgte der Popescu European Poetry Translation Prize für die Übersetzung von Jan Wagners Gedicht-Auswahl im „Selbstporträt mit Bienenschwarm“. Die Verleihung im Londoner EU-Sitz in Westminster erinnerte stark an die Oscar-Zeremonie, sagt Galbraith schmunzelnd.
Im „innigen Verhältnis“ zur Umwelt wiedererkannt
„Es hilft“, sagt er über die Ehrungen. Allerdings hat er ohnehin mehr als genug zu tun. Gerade ist im Hanser-Verlag ein zweiter Band mit Gedichten von John Burnside erschienen: „Anweisungen für eine Himmelsbestattung“. Dem schottischen Lyriker und Romancier, Jahrgang 1955, fühlt sich Galbraith besonders verbunden. Die erste Burnside-Lektüre führte zu einer „merkwüdigen Reaktion“, erinnert sich der Übersetzer, „weil ich das gesagt haben wollte“. Als Lyriker habe er Burnsides „Offenheit“ nicht gewagt und sich eher in einem „geschützteren“ poetischen Raum bewegt: „Ich habe mich mehr versteckt.“ Bei Burnside erkennt er aber sein „inniges Verhältnis zur Umwelt“ wieder. Und die „Intensität der Beobachtung“, die Burnsides „Anweisungen für eine Himmelsbestattung“ in Iain Galbraiths Übersetzung tatsächlich zu einem großen Leseerlebnis werden lässt.
Iain Galbraith ist nicht nur Übersetzer. Er wird auch übersetzt. „Ich war wirklich sehr, sehr froh“, sagt er über die Übertragung seiner Gedichte durch die Kollegin Esther Kinsky, „weil es der Beweis ist, dass die Texte so gelesen werden können, wie ich sie lese“.
Und wie war es für ihn, in die Sprache der Musik übersetzt zu werden? Anlässlich seines 60. Geburtstags hat der Komponist Ulrich Leyendecker vier Gedichte von Iain Galbraith vertont und mit den musikalischen Mitteln der klassischen Moderne Kabinettstücke vokal-instrumentaler Zwiesprache geschaffen. Für Galbraith „eine ganz erstaunliche Erfahrung, weil man auf einmal merkt, dass ein anderes Medium sehr viel aus einem Text herausholt, was darin ist, aber nicht an der Oberfläche liegt“. Die Vertonung habe ihm das Gefühl vermittelt, „einen sehr guten Leser zu haben“. Es sind noch viel mehr Leser seiner Lyrik in Aussicht: In einem englischen Verlag soll 2018 ein Band mit Gedichten aus seiner Feder erscheinen.
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